„Bei all meiner Arbeit ging es um Ideen von Utopie und Dystopie. Ich denke, das gibt Amerika Interesse. Es sind viele Dinge gleichzeitig. Es ist so eine komplizierte Gesellschaft. “
Joel Sternfeld

Einführung

Joel Sternfeld (* 1944) ist einer der wichtigsten Vertreter der New Color Photography [1]. Nach ersten Stadtaufnahmen von New York in den 70-iger Jahren hat er von 1978-86 eine Fotoreise mit einem VW-Bus durch die USA unternommen. Er verwendete eine auf einem Stativ montierte 8×10-Sucherkamera, um vielfältige Alltagsmotive und Landschaften seines Heimatlandes einzufangen. Seine Farbfotografie zeichnet sich durch Pastelltöne aus.

Abb. 1: Canyon Country, Kalifornien, Juni 1983.

Beeinflusst wurde er durch die Farbenlehre Josef Albers, die in dem im Jahr 1963 erschienen Band „Interaction of Color“ zusammengefasst wurde: „In visual perception a color is almost never seen as it really is – as it physically is. This fact makes color the most relative medium in art.” [2].

Die Kompositionen der großformatigen Bilder stehen in Konkurrenz zur Malerei. Eine Auswahl dieser Aufnahmen ist im Fotoband „American Prospects“ (1987) publiziert worden [3].

Sternfeld gilt als einer der einflussreichsten US-amerikanischen Fotografen des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Das Beispiel

Im Foto Canyon Country, Kalifornien, Juni 1983 zeigt er einen Vater mit seiner Tochter in Frontalansicht auf einer Steinmauer vor dem Eigenheim sitzend. Der Stolz des Vaters auf seine Familie und seinen Besitz ist klar zu erkennen (Abb. 1).

Bei genauerer Betrachtung fallen Veränderungen an seinen Daumennägeln auf. Diese sind an der rechten Hand deutlicher zu erkennen. Die Nageloberfläche weist zwei parallel verlaufende, gelbliche und oberflächlich aufgeraute Banden mit transversaler Gratung auf. Am proximalen Nagelfalz ist eine minimale Blutung zu erkennen. Die Cuticula ist unterbrochen und fehlt partiell im mittleren Anteil. Die proximalen Partien der lateralen Nagelfalze erscheinen rauh (Abb. 2).

Abb. 2: Nageldystrophie am Daumennagel („Waschbrett“-Nagel).

Die Dermatologie im Bild

Der klinische Befund entspricht der „habit-tic deformity“. Ausgelöst wir sie durch häufig unbewusste repetitive Traumatisierung des proximalen Nagelfalzes und evtl. zusätzlich der Nagelmatrix. Typischerweise sind die Daumennägel betroffen. Das resultierende klinische Bild wird auch als „Waschbrett“-Nagel bezeichnet. Taxonomisch ist die Erkrankung unter dem Überbegriff der Onychotillomanie einzuordnen [4, 5].

Differentialdiagnostisch kommen der Lichen ruber des Nagels, die Trachyonychie und die mediane Nageldystrophie in Betracht. Gelegentlich sind ähnliche klinische Befunde im Rahmen des Kontaktekzems durch Nagelmodellage zu beobachten [4-7].

Therapeutisch ist die Verhaltensänderung essenziell. Hierbei empfiehlt sich die Stimuluskontrolle durch Entfernung aller losen Hautteile um die Cuticula herum. Zusätzlich sollte die “Thumb-Tuck”-Methode angewendet werden. Wenn der Patient das Verlangen spurt, den Nagelfalz zu traumatisieren, sollte der Daumen auf die Handfläche rotiert und die Faust geschlossen werden [7]. Medikamentös kommt Biotin in einer Dosierung von 6 – 10 mg/d zur Festigung der Nagelplatte zur Anwendung. Zur Behandlung der begleitenden Paronychie ist ein lokal wirksames Kortikosteroid (z.B. Betamethason mit oder ohne Fusidinsäure) sinnvoll [4, 8].

Diskussion und Zusammenfassung

Die Harmonie und Zufriedenheit ausstrahlende Darstellung im Werk „Canyon Country, Kalifornien, Juni 1983“ von Joel Sternfeld erweist sich bei detaillierter Betrachtung als spannungsgeladen. Die Onychotillomanie als Selbstbeschädigungs-Tic lässt Brüche in der oberflächlichen Erscheinung des Bildes erkennen. Kunst kann derartige Spannungen deutlich werden lassen. Der „erste Eindruck“ täuscht.

Die Deutsche Börse Photography Foundation beschreibt Sternfelds Arbeiten so: „Den Glauben an die heile Welt verlor Joel Sternfeld bei seinen Roadtrips, nicht aber seinen Humor und ein Stück Sarkasmus – beides schwingt in seinen Aufnahmen immer mit.“ (9). Der stille Verzicht auf Sensationsfotografie legt so die Begrenzung der Wahrnehmung und innere Brüche und Spannungen frei.

Aus dermatologischer Perspektive wird deutlich, dass nicht allein die klassische Kunst, sondern auch die Moderne eine spezielle Sicht auf dermatologische Probleme erlaubt (10).