Nachruf: Verleger und Werber Dr. Eduard Grosse

Geboren wurde Dr. Eduard Grosse am 01. Juli 1928 in der Schönleinstraße in Berlin-Kreuzberg. Er war ein echtes Berliner Urgestein und in den Zeiten in denen er nicht in Berlin lebte, hatte er trotzdem immer einen Koffer in Berlin.

 

Schon in frühester Jugend war er ein Querkopf und beugte sich nicht der Propaganda der Nazis. 1943 – in einem Straßengraben – gründeten Er und ein paar Freunde, darunter der spätere Soziologe und Präsident der London School of Economics, Sir Ralf Dahrendorf, den „Freiheitsverband Höherer Schüler Deutschlands“, um etwas gegen den Terror des Naziregimes zu unternehmen. Mit einer alten Druckerpresse druckten sie Flugblätter und verteilten Sie in den Berliner Straßen- und U-Bahnen.

 

Abb. 1: Dr. Eduard Grosse am Schreibtisch (1978).

Abb. 1: Dr. Eduard Grosse am Schreibtisch (1978).

Auch seine Verhaftung durch die Gestapo konnte seinen Willen nicht brechen. Er hatte das Glück damals dem Tode nur knapp zu entrinnen. Sein Vater konnte durch Bestechung des Lagerkommandanten des KZ’s in Schwetig an der Oder seine Freiheit erkaufen.

 

Der Neuanfang nach dem Krieg

Ungefähr drei Wochen nach Kriegsende hielt vor dem halbzerstörten Haus in Berlin-Buckow-West eine große russische ZIS-Limousine. Eduard, jun. war damals Leiter des „Antifaschistischen Jugendausschusses Buckow-West“. Aus der Limousine stiegen zwei junge Männer. Einer sagte: Mein Name ist Erich Honnecker. Ich suche Eduard Grosse. Der andere stellte sich als Heinz Keßler vor, der jemanden suchte, eine Zeitschrift für die Jugend herauszugeben. Nach dem Gespräch sagte dann mein Großvater zu meinem Vater: Junge, sieh Dir vor. Die Beeden haben den kalten Idealismus vonne SS in die Augen. Mach deren – „Neues Leben“ – nich mit.“

 

Doch es kam anders. Beide Eduard’s gründeten mit der ersten vergebenen Lizenz für Verlage durch die Alliierten, als Gegenstück den HORIZONT, den mein Vater später als Werbefachzeitung wiederbelebte. Es war die erste Lizenz der Alliierten für die Herausgabe einer Zeitung in Berlin, noch vor dem Tagesspiegel und anderer Titel.

 

Unser Vater schrieb über diese Zeit: “Die neue Welt, die sich nun vor mir auftat, war so glückhaft beschwingend wie die Stimmung in Berlin beim Mauerfall 1989. Ihre Hoffnung, Ihr Schwung, überstrahlte für mich die Ruinen, den Hunger, das Elend, die Lumpen und die täglichen Stromsperren.“

 

Im Sommer 1946 gründete mein Vater zusammen mit seinem Vater und Dr. Erich Langer die Zeitschrift für Haut- und Geschlechtskrankheiten (heute das JDDG der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft). Der jüdische Arzt Dr. Erich Langer, ein Freund meines Großvaters, hatte ihn überzeugt: Durch die Massenvergewaltigungen der Roten Armee – einige Schätzungen gehen von einer Vergewaltigungsrate alleine in Berlin, in Höhe von 90 % der weiblichen Bevölkerung aus – brach eine Welle von Geschlechtskrankheiten, teilweise unbekannter Art über die Bevölkerung herein. Auch viele Amerikanische GI’s wurden über ihre deutschen „Fräuleins“ angesteckt. Der Grundstein des medizinischen Verlages war gelegt.

 

Später kamen die Zeitschriften „Der Deutsche Dermatologe“ (der Name stammt von meinem Vater), Mykosen, Andrologia, Med Report, Seminar Hausarztpraxis, Symposium Medical, Berlin Medical, und natürlich die „Kosmetische Medizin“ hinzu. Mein Vater prägte durch den Verlag, die dermatologische Verlagslandschaft im Nachkriegsdeutschland maßgeblich mit und verhalf auch im Ausland der deutschen Dermatologie zu neuem Ansehen.

 

Ebenfalls 1946, wurde mein Vater als erster Vertreter der deutschen Jugend eingeladen, an den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen teilzunehmen und über sie zu schreiben. In Nürnberg lernte er unter anderem Willy Brandt kennen, damals noch in norwegischer Militäruniform als Presseattaché. Er beeindruckte ihn sehr als er in einer abendlichen Essenrunde, die deutsche Kollektivschuld ablehnte und sagte: „Auch ich bin ja noch Deutscher.“

 

Der Weg in die weite Welt

Anfang 1948 ging mein Vater für einige Monate nach Oxford zum studieren. Finanziert wurde sein Aufenthalt in England durch eine dort für den RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor) gestaltete Sendereihe „Hallo Freunde, hier spricht Eddi vom RIAS-Jugendfunk aus London“.

 

Nach seiner Rückkehr ging er nach Wiesbaden und studierte in Frankfurt am Main bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. 1950 – mein Vater war gerade auf einer Vortragsreise in Dänemark – bekam er einen Anruf, das ein Platz frei geworden sei, um in Amerika zu studieren. Er verkaufte sein Motorrad und bekam noch etwas Taschengeld vom Vater und fuhr mit der „MS BRasil“ nach New York. Er gehörte, zusammen mit Hans Matthöfer (späterer Bundesfinanzminister und Gewerkschaftsfunktionär), zur ersten Gruppe von deutschen Studenten, die nach dem Krieg nach Amerika durften. Auf der Überfahrt lernten er und Matthöfer einen ehemaligen englischen Kolonialoffizier kennen, der Ihnen beim Pokern, das gesamte Geld abknöpfte.

 

Nun völlig mittellos, suchte sich mein Vater einen Job und wurde Schuhverkäufer in der Damenabteilung von Macey’s in New York, wo er, wie er mir später erzählte, nette Einblicke in die Damenwelt bekam. Sobald er genügend Geld beisammen hatte, ging er zum Studium nach Minneapolis, Minnesota und studierte Volkswirtschaft. Dort lernte er seine erste Frau Ruthy kennen, die er dann auch heiratete. Nach Erlangung eines M.A ging es zurück nach Deutschland, wo er an der Freien Universität Berlin promovierte. Seine Dissertation: „Universalistische und regionale Formen Weltwirtschaflicher Integration“.

 

Neben seinem Studium arbeitete er für die amerikanischen Behörden in der Clay-Allee in Berlin, wo auch seine Tochter Patricia-Lynne das Licht der Welt erblickte. Zwei Jahre später arbeitet er für die Amerikanische Botschaft in Bonn, wo Tochter Barbara das Licht der Welt erblickte.

 

Nach dieser turbulenten Zeit begann die steile Karriere von Eddy Grosse in der Welt der Werbung. Er arbeitete in New York bei den Agenturen Bartle, Bogle, Hegarty, J. Walther Thompson, lernte dann David Ogilvy kennen, den wohl berühmtesten Werbetexter des 20. Jahrhunderts, der ihn als Marktforscher einstellte. Ogilvy’s Sprüche wie „Only first class business, and that in a first class way“ sind noch heute legendär.

 

Mein Vater pendelte immer wieder zwischen Deutschland und Amerika. Und vor Allem nach München. Eines frühen Abends fuhr er am Lehnbach-Haus vorbei und sah eine hübsche junge Blondine, die Flugblätter für einen Nachtclub verteilte. Er fuhr noch einmal rum, stieg dann aus der Limousine aus und lud diese junge Dame ein, die zuerst allerdings verneinte. Daraufhin entriss er ihr die Flugblätter, schmiss sie in die Luft und sagte: „Jetzt kannst Du mit mir mitgehen!“ Die beiden verbrachten einen schönen Abend miteinander. Dabei sollte es erst einmal bleiben. Doch wie der Zufall es so wollte, trafen sie sich nach einem Jahr wieder. Ab diesem Zeitpunkt war klar, Angelika! Kurze Zeit später, am 10. April 1966 heirateten sie. Aus dieser Liebe sind dann ich und meine Schwester Vanessa in 10jährigem Abstand entstanden.

 

1966 fing mein Vater auch bei der Agentur Foote, Cone & Belding (FCB) an. Erst als Deutschlandchef, dann als Europachef und schließlich als Vorstandsvorsitzender International. Er war der erste deutsche nach dem Krieg, der ein US-Amerikanisches börsennotiertes Unternehmen leitete. In dieser Zeit entstand sein Spitzname „Dinner-Eddy“, da er die meisten Abschlüsse beim Abendessen zustande brachte.

 

Er entwickelte u.a. die Marke „Miracoli“ und unter seiner Ägide wurden viele Werbekampagnen entwickelt, die einige von Ihnen sicherlich noch kennen: Das Wrigley Big Pack – „Nimm die echte große Frische“, oder die Sunlicht-Werbung, mit der ersten fast nackten Frau in einer Badewanne im deutschen Fernsehen.

 

Neben seiner regulären Tätigkeit, lief er 1969 sogar für den Deutschen Bundestag für die FDP, aber verfehlte den Einzug nur knapp. Sein Lebensweg wäre dann sicherlich anders verlaufen.

 

Vanessa Grosse, Dr. Eduard Grosse, Wolfgang Brehmke, Ernst Bergemann (v.l.n.r.). 80er Geburtstag.

Vanessa Grosse, Dr. Eduard Grosse, Wolfgang Brehmke, Ernst Bergemann (v.l.n.r.). 80er Geburtstag.

1982 wurde ihm angetragen, Präsident von FCB zu werden, aber dafür hätte er seine deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben müssen. Als Preuße und als Widerstandskämpfer, sah er sich aber außerstande, diesen Schritt zu gehen und entschied sich zurück nach Deutschland zu gehen. Er verlies FCB, als Mann der die Agentur von Platz 9 der Weltrangliste auf Platz 4 brachte.

 

1987 kam die Familie nach Berlin, wo mein Vater den alteingesessenen medizinischen Grosse Verlag übernahm, den Lutz Diesbach über lange Jahre erfolgreich geführt hatte.

 

Neben seiner regulären Tätigkeit als Werber und Verleger, war er in vielen Organisationen engangiert, wofür er 1978 das große Bundesverdienstkreuz erhielt.

 

Er war über viele Jahre im Vorstand der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer, deren Zeitschrift und Jahrbücher er für einige Jahre herausgab. Auch war er Präsident der Steuben-Schurz Gesellschaft.

 

Er war u.a. Mitglied des Board of Directors der Lyric Opera of Chicago und der Chicago Symphony. Er gründete den „Freundeskreis der Alten Oper“ in Frankfurt und war über viele Jahre dessen Schatzmeister.

 

Er war für uns ein toller Vater. Wir und auch einige von Ihnen erinnern uns an glückliche Stunden mit ihm in unserer Mitte, an lustige Erlebnisse, an Feste und Feierlichkeiten, an Freude und interessante Gespräche, und wir sind froh, in den letzten Stunden, ihn in eine andere Welt, in unserer Gegenwart, begleitet zu haben.

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