Kommunikationsfallen bei dysmorphophoben Patienten

Kommunikationsfallen bei dysmorphophoben Patienten
Nathalie Morgenroth

 

 

„Sehen Sie das denn nicht, Herr Doktor?! “

Diesen Satz hat wohl schon jeder ästhetische Mediziner zu hören bekommen. Trotz mehrfachen und deutlichen Hinweisen des Patienten auf eine subjektiv empfundene optische Unzulänglichkeit ist für den Behandler gar nichts oder kaum etwas erkennbar. Im Beratungsgespräch wird oft erst nach einigen Minuten ersichtlich, dass der Patient an Dysmorphophobie leidet und somit außer Stande ist, die tatsächliche Ausprägung seines Makels einzuschätzen. Die Merkmale dieser Erkrankung sind meist unspezifisch und die Grenzen zwischen übertriebener Eitelkeit und krankhafter, manchmal schon wahnhafter Fokussierung fließend. Typisch sind jedoch unbewusste Versuche des Patienten, den Arzt zu manipulieren und emotional so zu erpressen, dass dieser keinen anderen Ausweg sieht, als den Patientenwunsch zu erfüllen. Deshalb ist die richtige Gesprächstechnik für den Arzt von entscheidender Bedeutung – so bewahrt er sich die Freiheit, zu gegebener Zeit eine angemessene Entscheidung zu treffen.

 

Ein subjektives „Muss“ oder ein objektives „Kann“?

Bei ästhetischen Indikationen handelt es sich um „Kann-Leistungen“ und nicht um „Muss-Leistungen“. Dennoch ist hier ein dem Setting geschuldetes Interaktionsmuster zu beobachten: In einer Arztpraxis ist es völlig normal, dass der Patient den Arzt aufsucht, sein Leiden äußert, um ärztliche Hilfe bittet und diese für gewöhnlich auch unmittelbar erfährt („Muss-Leistung“). Da der dysmorphophobe Patient auf Grund seines subjektiven Leidensdrucks eine klare Notwendigkeit für die Behandlung seines Anliegens sieht, zielt er unbewusst genau auf dieses gewohnte Verhaltensmuster („Der Arzt muss mir helfen“) ab. Er macht aus dem objektiven „Kann“ ein subjektives „Muss“ und versucht so den Arzt in einen Gewissenskonflikt zu bringen. So erfolgt die Behandlung nicht selten eher aus Zugzwang, statt aus einer fachlich reflektierten Position.

 

Auch ein Wunsch hat einen Eigentümer

Eine Beratung wird dann zur kommunikativen Herausforderung, wenn zu Beginn des Gespräches die Weichen ungünstig gestellt wurden. Da die Gesprächseröffnung meist durch den Behandler erfolgt, liegt es bei ihm, das Gespräch so zu beginnen, dass im Verlauf noch die Möglichkeit einer Kehrtwende bleibt.

 

Wird die Beratung jedoch mit den gängigen Eröffnungen begonnen („Was kann ich für Sie tun?“, „Was führt Sie zu mir?“), wird unwissentlich, für den Patienten jedoch wahrnehmbar ein Commitment zur Durchführung der Behandlung gegeben. Und genau das macht die Kehrwende so schwierig, wenn das Gespräch mit einem dysmorphophoben Patienten erfolgt, der eine unangemessene Behandlung wünscht oder keine tatsächliche Indikation hat.

 

Durch das unbeabsichtigte „verbale Verpartnern“ mit dem Patientenwunsch zu Gesprächsbeginn ist ein wirkungsvoller Hebel entstanden, der ausschließlich dem Patienten nützt und gegen den Behandler wirkt. Diesen Hebel verwendet der Patient unbewusst zur emotionalen Erpressung und Manipulation. Denn als die unwissentliche Verpartnerung stattfand, war noch nicht abzusehen, wo die Reise hingeht – und ehe man sich versieht, ist man den „Weg des Patienten“ schon so weit mitgegangen, dass ein harmonischer Gesprächsausstieg kaum noch möglich ist. Sowohl auf der menschlichen Ebene als auch auf der „Der-Arzt-muss-mir-helfen-Ebene“ entsteht eine Schieflage, wenn der Arzt nun einen Rückzieher machen möchte. Selbstverständlich kann er nicht gezwungen werden, die Behandlung durchzuführen, aber es kann ihm erschwert bis verunmöglicht werden, das Gespräch sachlich, harmonisch und kompetent weiterzuführen.

 

Der Gesprächsbeginn ist für das Wahren der Entscheidungsfreiheit nicht nur prägend, sondern entscheidend

 

Durch das Einsetzen von folgenden Alternativen bei der Eröffnungen: „Was ist IHR Wunsch an mich?“, „Was ist IHR Anliegen?“, werden Patientenwunsch und ärztliche Zustimmung (Handlungsbereitschaft) ganz klar getrennt. Der Arzt kann sich auf diese Weise zunächst ein Bild machen, bevor er Stellung bezieht oder eine Äußerung zur konkreten Umsetzung tätigt. Er bleibt also erst einmal neutral, was nur zu Beginn des Gesprächs möglich ist – denn wir können nur neutral bleiben, nicht neutral werden. Jeder Rücktrittsversuch zu einem späteren Zeitpunkt mutet als ein “sich raushalten“ oder „aus der Affäre ziehen wollen“ an. Dann bleibt nur noch die unerwünschte und gefürchtete Option, sich gegen den Patientenwunsch zu stellen.

 

Den Widerstand durch bedingte Zustimmung ableiten

Doch wie geht es weiter, wenn der Gesprächseinstieg „gelungen“ ist und der Patient sein Anliegen dargelegt hat? Jetzt wird die Reaktion des Behandlers erwartet. Wenn es für den Patientenwunsch keine Indikation gibt, oder die Befundausprägung nicht im Verhältnis zur gewünschten Behandlung steht, ist jede Form der Zustimmung nicht besonders ratsam – Widersprechen oder Relativieren allerdings genau so wenig. Hilfreicher sind an dieser Stelle die folgenden Formen der bedingten Zustimmung:

– „Ich verstehe, was Sie stört!“

– „Ich habe Ihr Anliegen gehört!“

– „Ich habe verstanden, worum es Ihnen geht!“

– „Ich habe Ihr Anliegen verstanden!“

– „Ich habe verstanden, dass Sie Ihre Nase als zu groß empfinden!“

– „Ihr Wunsch ist also…?“

– „Sie sind also der Meinung, dass Ihre… zu…. ist?“

 

Was dann von Patientenseite entgegengesetzt wird, lässt der Arzt am besten an sich vorbeiziehen. So leitet er den verbalen Widerstand ab und geht nicht dagegen, denn Druck erzeugt immer Gegendruck. Für gewöhnlich sind Rechtfertigungen oder Erklärungen zu erwarten, warum das subjektive Empfinden die gewünschte Behandlung den-noch erfordert. Hier sollte der Arzt unbedingt „hart“ bleiben – die aktuelle Studienlage belegt eindeutig, dass durch eine Behandlung von keiner Besserung des Patientenempfindens auszugehen ist. [1] Selbst wenn der Arzt versucht, sich rechtlich abzusichern (handschriftlich ergänzte Einverständniserklärung, Fotodokumentation etc.), entbindet ihn das nicht von der Verantwortung, einen psychopathologischen Befund erkennen zu müssen. Im Falle eines Gerichtsverfahrens muss er begründen, was ihn trotz der Umstände dazu veranlasst hat, diesen Patienten zu behandeln. Der beste Schutz für den Arzt ist es, die Behandlung nicht durchzuführen.

 

„Sonst macht es ein Anderer!“

Die weitverbreitete Annahme, dass zahlreiche ästhetische Mediziner die Behandlungen an dysmorphophoben Patienten trotz besseren Wissens aus rein finanzieller Motivation durchführen, ist weitestgehend haltlos. Stattdessen gibt es hierfür eine etwas weniger offensichtliche Ursache: Der Arzt hat keinen anderen Weg gesehen, sich aus der Situation zu lösen, ohne den Patienten zu verstimmen oder zu verärgern. Oft rechtfertigt der Arzt sein Tun mit dem Gedanken „sonst macht es ein Anderer“ – dieser Satz ist allerdings argumentativ und rechtlich überaus problematisch und dient wenn überhaupt als mentales Beruhigungsmittel. Um zukünftig nicht „aus Verlegenheit“ zuzustimmen und dem Patienten stattdessen eine Empfehlung für eine psychologische Betreuung aussprechen zu können, haben sich folgende Formulierungen bewährt:

 

– „Für Ihr Anliegen bin ich nicht der richtige Ansprechpartner. Ich bin Ihnen jedoch sehr gerne mit einer Empfehlung behilflich.“

– „Für mich gibt es hier keinen Handlungsbedarf, gerne empfehle ich Ihnen einen Fachmann, der Ihnen bei Ihrem Anliegen helfen kann.“

– „Für diese Indikation sehe ich für mich als ästhetischen Mediziner keinen Handlungsbedarf. Ich sehe aller-dings, dass es Ihnen damit nicht gut geht.“

 

So liegt der Fokus nicht auf der Ablehnung, sondern auf der Lösung. Dies macht es dem Arztmöglich, weiter kompetent und empathisch zugleich zu sein.

 

Für diese vor allem kommunikativ sehr anspruchsvolle Situation ist eine Lösung, die einen eventuellen Konflikt gänzlich ausschließt, kaum vorstellbar. Und doch kann vielen Unannehmlichkeiten durch den Einsatz unverfänglicherer Formulierungen rechtzeitig entgegengewirkt werden. Vorsicht ist im Alltag um ein vielfaches leichter zu integrieren als Schadensbegrenzung. Denn wer dünnes Eis rechtzeitig verlässt oder es besser noch gar nicht erst betritt, hat weder die Folgen des Einbrechens zu fürchten, noch läuft er Gefahr, ungewollt eiskalt baden zu gehen.

 

Korrespondenzadresse:
Nathalie Morgenroth
Seminare & Coaching
Schlierseestraße 83
D-81539 München
Tel.: 089 – 66 65 68 67
E-mail: nathalie(at)constanda-coaching.de
www.constanda-coaching.de

 

  1. Phillips KA, Pagano ME, Menard W and Stout RL. A 12-Month Follow-Up Study of the Course of Body Dysmorphic Disorder Am J Psychiatry, 2006; 163(5): 907 – 912.

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