Pruritus – wie man den vielen Ursachen auf die Spur kommt und zielgerichtet therapiert

Mannheim – Nicht alles was juckt, ist auch eine Hauterkrankung. Stecken die Leber, die Nieren, ein noch nicht diagnostizierter Diabetes oder ein Tumor dahinter? In der Sitzung „Juckreiz – Ein interdisziplinäres Problem“ beleuchteten Experten auf dem 121. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Mannheim verschiedenste Facetten des lästigen Leidens.

 

 

Pragmatische Ansätze zur grundsätzlichen Unterscheidung stellte Dr. Moritz Felcht, Oberarzt und Leiter der operativen Dermatologie am Universitätsklinikum Mannheim. Akuten Juckreiz – meist hervorgerufen durch Mückenstiche – lernen wohl jeder im Laufe seines Lebens einmal kennen.

 

 

„Besteht ein Pruritus aber länger als sechs Wochen, sollte die Ursache abgeklärt werden“, betonte Felcht. Eine epidemiologische Studie belegt für Deutschland, dass chronischer Pruritus bei knapp 17 % der Bevölkerung auftritt, Frauen trifft es häufiger, mit dem Alter nimmt die Prävalenz zu. Liegt sie bei den 16 bis 30jährigen noch bei 12,3 %, sind von den 61- bis 70jährigen schon über 20 % davon beeinträchtigt.

 

 

Unterschieden wird der chronische Juckreiz in:

  • • Pruritus auf primär veränderter (entzündeter) Haut,
  • • Pruritus auf primär normaler Haut und
  • • Pruritus auf sekundär veränderter Haut.

 

„Diese Einteilung ist wichtig, weil sie uns bereits Hinweise auf die Ursache des Pruritus liefert“, betonte Felcht. Ein typischer Vertreter der ersten Gruppe ist die atopische Dermatitis, während brachioradialer Pruritus nur auf primär normaler Haut auftritt. Chronische Kratzläsionen wie Prurigo nodularis, wenn die Haut mit rötlich-braunen, stark juckenden Knötchen übersät ist, sind ein Beispiel für die dritte Form.

 

 

Pruritus galt lange als eine abgeschwächte Form von Schmerz. Vor rund 20 Jahren leitete jedoch eine Arbeit Prof. Dr. Martin Schmelz einen Paradigmenwechsel ein. Die Arbeitsgruppe an der Physiologie der Universität Erlangen konnte damals zeigen, dass Schmerzen und Juckreiz über getrennte Nervenbahnen ins Gehirn gelangen. Dabei beeinflussen sie sich gegenseitig. Rezeptoren für Juckreiz sind freie Nervenenden von C-Fasern in der Haut, die das Signal in sensomotorische Regionen der Großhirnrinde weiterleiten.

 

 

Ist die Haut entzündet, ist meist eine Dermatose Ursache des Pruritus

 

Findet sich bei Pruritus auch eine Entzündung der Haut, ist häufig eine Dermatose die Ursache. „Zeigt sich ein Pruritus auf normaler Haut, muss man an eine internistische, neurologische oder psychogene Ursache denken“, erklärte Felcht.

 

 

Mit Antihistaminika lassen sich Dermatosen oft effektiv therapieren. Dabei besteht für nicht-sedierende Antihistaminika nur eine eingeschränkte Evidenz. Empfohlen wird dagegen die Gabe von sedierenden Antihistaminika. Spricht der Patient nicht darauf an, kommt alternativ der monoklonale Antikörper Omalizumab in Frage. „Das Problem dabei ist aber: Hört man mit der Omalizumab-Gabe auf, kehrt die Urtikaria häufig wieder“, so Felcht.

 

 

Der Dermatologe verwies auf interessante Fallberichte zu Capsaicin bei Urtikaria: Experimentell eingesetzt wirke es desensibilisierend. Besser belegt sei seine Wirksamkeit bei Prurigo nodularis: „Nach sechsmonatiger Anwendung von Capsaicin kam es zur vollständigen Abheilung“. Ob und inwieweit der Kappa-Agonist Nalfurafin Hydrochlorid – bislang zugelassen zur Therapie des Hämodialyse-induzierten Pruritus – auch zur Behandlung der atopischen Dermatitis in Frage komme, werde derzeit in Studien untersucht.

 

 

Besteht ein Pruritus aber länger als sechs Wochen, sollte die Ursache abgeklärt werden, so Dr. Moritz Felcht. Doch auch wenn 42% der Fälle mit chronischem Juckreiz letztlich auf Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Urtikaria oder Psoriasis zurück zu führen sind: „Genauso häufig konnte die Ursache nicht festgestellt werden“, so Felcht. Weil chronischer Juckreiz Teilsymptom potenziell schwerer Erkrankungen sein kann, muss nach der Ursache gesucht werden – am besten interdisziplinär.

 

 

Wie Juckreiz auf Leberkrankungen hinweist

 

Unter die mit Pruritus assoziierten hepatobiliären Erkrankungen fallen die Schwangerschaftscholestase oder die benigne rekurrente Cholestase (BRIC). Aber auch Hormone, Alkohol oder Hepatitis C können den Transport in den Gallenwegen beeinträchtigen. Weitere mit Juckreiz assoziierte hepatobiliäre Erkrankungen sind die primär biliäre Zirrhose und die obstruktiven Erkrankungen wie die sklerosierende Cholangitis, die IgG4-assoziierte Cholangitis, Gallengangsteine, aber eben auch maligne Raumforderungen.

 

 

Exemplarisch berichtete Kremer vom Fall einer 43 Jahre alten Patientin, die sich mit Abgeschlagenheit, Schlafstörungen und einem seit 12 Monaten rezidivierenden Pruritus vorstellte.

 

Der Juckreiz trat vorwiegend abends und nachts und betont an Handinnenflächen und Fußsohlen auf. Erstmals war der Juckreiz in der Schwangerschaft vor ca. 2 Jahren aufgetreten. Vorerkrankungen lagen nicht vor, Medikamente nahm die Frau keine. Die Leberwerte waren in Schwangerschaft mal erhöht gewesen. Im Labor zeigten sich deutlich erhöhte Transaminasen, die Diagnose lautete schließlich: Schwangerschaftscholestase.

 

 

Vierstufiges Therapieschema beim cholestatischen Pruritus

 

Charakteristisch für den cholestatischen Pruritus ist:

 

  • • starke Ausprägung an Handflächen und Fußsohlen, tritt aber auch generalisiert auf
  • • zirkadiane Rhythmik, stärkste Intensität am frühen Abend
  • • prämenstruelle Verschlechterung, bei Hormonersatztherapie und am Ende der Schwangerschaft
  • • häufiger bei intrahepatischer als bei extrahepatischer Cholestase

 

 

Die für den Juckreiz cholestatischer Lebererkrankungen verantwortlichen Pruritogene sind unbekannt. Zwar wurde vermutet, dass der Juckreiz durch Gallensalze und endogene Opioide ausgelöst werde – „doch eine Korrelation gibt es nicht“, stellte Kremer klar. Als potenzielle Mediatoren sind jetzt Autotaxin und sein Produkt Lysophosphatidsäure im Visier.

 

 

Allerdings steht für den vermuteten Auslöser noch kein Inhibitor zur Verfügung, so Kremer. „Pruritus bei hepatobiliären Erkrankungen ist ein häufiges, teils schwerwiegendes Symptom, das oft unterschätzt wird“, warnte Kremer. Leitliniengerecht ist zur Therapie des cholestatischen Pruritus ein vierstufiges Schema vorgesehen:

 

  • 1. Wahl: Colestyramin (1–2 x 4 g/Tag, max. 16 g/Tag; und cave: getrennt und in zeitlichem Abstand von anderen Medikamenten verabreichen)
  • 2. Wahl: Rifampicin (2 x 150–300 mg/Tag)
  • 3. Naltrexon (25–30 mg/Tag)
  • 4. Wahl: Sertralin (75–100 mg/Tag)

 

 

Ursodeoxycholsäure (UDCA) kommt nur bei Schwangerschaftscholestase (ICP) zum Einsatz und zwar  in der Dosis von 13 bis 15 mg/kg/Tag. Schlägt die Therapie nicht ausreichend an, können experimentell Cannabinoide, Ondansetron und Gabapentin eingesetzt werden. Infrage kommen auch UV-Bestrahlung, nasobiliäre Drainage, Albumindialyse, Plasma-Separierung/Anionen-Absorption oder eine Lebertransplantation.

 

 

Neuropathischer Pruritus: Capsaicin hilft eindrucksvoll

 

Auf die neurologischen Aspekte bei Pruritus ging Prof. Dr. Sonja Ständer ein, Leiterin des Kompetenzzentrums chronischer Pruritus (KCP) des Universitätsklinikums Münster. Momentaner Status der Forschung sei, dass sensible Fasern in der Haut zunächst Juckreiz weiterleiten können. „Wir wissen noch nicht genau, wann sich die Faser zum Schmerzempfinden entscheidet  und wann zu Juckreiz“, erklärte Ständer.

 

Offenbar empfinden Prurituspatienten Juckreiz und Schmerz gleichzeitig, so die Expertin und verwies auf eine kleine Studie an 82 Patienten. Von diesen klagten 46,3 % über Juckreiz und zur selben Zeit über Stechen und Brennen, ein bei diesen Patienten typisches Bild. „Zwischen der Intensität von Pruritus und Schmerz gibt es eine signifikante Korrelation“, so Ständer. So zeigt der neuropathische Pruritus auch signifikant höhere Schmerzwerte in einem Schmerzdetektionstest.

 

 

Neuropathischer Pruritus tritt bei 8 % der Patienten mit chronischem Pruritus auf, wobei der neuronale Schaden selbst den Pruritus verursacht. Unter neuropathischen Pruritus fallen u.a.

 

 

  • • Brachioradialer Pruritus
  • • Notalgia paraesthetica
  • • Meralgia paraesthetica
  • • Vulvodynie
  • • Post-Zoster-Neuralgie
  • • Neuropathie bei Diabetes
  • • Multiple Sklerose
  • • Neurofibromatose

 

 

Dem brachioradialen Pruritus liegt oft eine Kompression der rechten Zervikalwurzel C6 durch einen Bandscheibenvorfall zugrunde. Der Juckreiz kann unilateral oder bilateral auftreten, Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Die Kompression verursacht eine Degeneration der Haut, die durch das Kratzen noch gefördert wird. Während sich der Juckreiz durch Sonnenlicht verschlechtert, bringt nur Kälte – am besten in Form von Eisbeuteln – Linderung.

 

 

Die Ansprechraten sind phantastisch. 80 % der Patienten sagen, dass schon am nächsten Tag der Pruritus verschwunden ist, sagt Prof. Dr. Sonja Ständer.

 

Therapieziel beim neuropathischen Pruritus ist es, den Juckreiz und den Schmerz zu behandeln. Sinnvoll sei deshalb, den TRP V1 oder Capsaicin-Rezeptor zu aktivieren. „Therapieren wir topisch, geht es darum, die intraepidermalen Fasern zu eradizieren“, so Ständer. Die Eradikation bringt Symptomfreiheit: „Am elegantesten geht das derzeit mit einem achtprozentigen Capsaicinpflaster“, so Ständer.

 

 

Wie die Expertin berichtet, habe man in Münster 37 Patienten mit brachioradialem Pruritus (BRP) mit Capsaicinpflastern behandelt. „Die Ansprechraten sind phantastisch. 80 Prozent der Patienten sagen, dass schon am nächsten Tag der Pruritus verschwunden ist.“ Nun werde überlegt, dazu eine Studie zu machen.

 

Ständer betonte, dass Pruritus und Schmerz zwar getrennte Empfindungen sind, aber klinische Überlappungen aufweisen. So gibt es unterschiedliche Funktionalitäten: Opioide wirken sowohl analgetisch als auch pro-pruritisch, und es besteht eine Interaktion, denn beim Kratzen lindert der Schmerz den Juckreiz. Pruritus und Schmerz weisen aber auch gleiche Mechanismen auf – so wirkt das Antikonvulsivum Gabapentin sowohl bei neuropathischen Schmerzen als auch bei Juckreiz.

 

 

Wenn dem Juckreiz ein Malignom zugrunde liegt

 

„Die Patienten klagen über Juckreiz, die Haut selbst sieht erst einmal unauffällig aus“, beschreibt Dr. Karin Mayer, Oberärztin an der Abteilung für Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Bonn, in welcher Form Onkologen mit Pruritus in Berührung kommen. Besonders häufig tritt Pruritus bei Lymphomen und bei Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) auf – zwischen 25 und 30 % dieser Patienten verspüren auch Juckreiz.

Bei der malignen Polycythaemia vera sind noch mehr, hier leiden etwa 30 bis 50 % der Erkrankten unter Juckreiz, häufig induziert durch Wasserkontakt (aquagener Juckreiz). Seltener ist Pruritus bei akuten lymphatischen Erkrankungen: So klagen 5% der Patienten mit Hodgkin Lymphom über schwersten Pruritus. Ebenfalls seltener ist Juckreiz ein Begleitphänomen von Z-Zell-Lymphomen, Sezary und Mastzellenerkrankung.

Auch solide Tumore (Vulva, Mamma, Lunge, Leber, Melanom) können – wenn auch selten – mit Pruritus assoziiert sein. „Interessant ist, dass der Juckreiz oft schon deutlich vor dem Lokalbefund auftritt“, so Mayer. Bei myeloproliferanten Syndromen können JAK-Inhibitoren auch den Pruritus deutlich lindern.

 

 

Autor: Ute Eppinger

 

Quelle: Medscapemedizin.de

 

 

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